Die Mär der armen Armee

Was mit der Absage von publikumswirksamen Armee-Grossanlässen aus finanziellen Gründen begann, gipfelt in einer emotionalen Marketingkampagne sondergleichen, die das Militär betreibt, um an mehr Mittel zu kommen. Medienwirksam wird die Mär der armen Armee wiederholt. Der Armee gelingt es dabei, die Debatte so zu verschieben, dass nicht mehr über fehlerhafte Finanzplanungen, Kostenüberschreitungen bei Beschaffungen und Führungsschwäche gesprochen wird. Eine finanz- und sicherheitspolitische Einordnung der Debatte aber fehlt.

Völlig willkürlich wird auch das Ziel von 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) wiederholt. Aber das BIP misst nicht die Sicherheitsbedürfnisse eines Landes, sondern dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Für ein neutrales Land wie die Schweiz, das nicht Teil eines Militärbündnisses ist, macht es sogar noch weniger Sinn, die Armeeausgaben allein am BIP zu messen, denn die Schweiz ist nicht an Verpflichtungen von Militärbündnissen gebunden.

Ausserdem sind die genannten heutigen Armeeausgaben von 0,76 Prozent des BIP nur die halbe Wahrheit: In vielen Ländern beinhalten die Militärbudgets die Zivilschutzausgaben, in der Schweiz nicht. Zudem sind bei den Schweizer Zahlen die kantonalen und kommunalen Militärausgaben sowie die Versicherungs- und Erwerbsersatzleistungen nicht enthalten. Zählt man diese Leistungen hinzu, erreicht die Schweiz das 1-Prozent-Ziel bereits heute. 

An realen Bedrohungen und Gefahren messen

Die Verteidigungsausgaben liessen sich auch anders bemessen: Bei den Verteidigungsausgaben pro Kopf liegt die Schweiz mit 617 Franken pro Jahr vor Deutschland mit 586 Franken. Bei den Verteidigungsausgaben pro Quadratkilometer kommt die Schweiz mit 131’000 Franken auf einen fast doppelt so hohen Betrag wie Frankreich mit 73’000 Franken. Von anderen neutralen Ländern wie Irland ganz zu schweigen: Irland gibt pro Quadratkilometer gerade mal 17’000 Franken aus. Gerade weil wir als neutrales Land unseren Fokus auf diplomatische Lösungen setzen, sollte man beim Budget für die Sicherheit beispielsweise auch über die Ressourcen für Diplomatie und internationale Zusammenarbeit sprechen.

Die Armee will aber lieber über das BIP als Richtgrösse sprechen – und nicht darüber, dass sie jahrelang Kreditreste in Milliardenhöhe vor sich hergeschoben hat. Oder über das leere Versprechen, dass der F-35-Kampfjet über das ordentliche Armeebudget bezahlt werden sollte. Die absurde Debatte mündet nun darin, dass die Bürgerlichen der rot-grünen Minderheit im Parlament den Vorwurf machen, die Armee heruntergewirtschaftet zu haben. Das Verteidigungsdepartement aber, es war bis zu Viola Amherd in SVP-Hand, immer mit bürgerlicher Mehrheit in Bundesrat und Parlament.

Ein Land sollte seine Sicherheitsausgaben an realen Bedrohungen und Gefahren messen. In der klassischen Verteidigungspolitik sind es für die Schweiz insbesondere die Cyberattacken, denen wir eine grosse Aufmerksamkeit schenken müssen. In der Sicherheitspolitik im weiteren Sinn sollte uns der Verlust der natürlichen Lebensgrundlagen Sorgen bereiten. Die Diskussion aber geht leider nicht um Fähigkeiten, sondern um Franken. 

Die Schweizer Bevölkerung will eine Armee. Aber die Aufgabe der Armee ist es nicht, Marketingstrategien zu entwickeln, sondern dadurch zu überzeugen, dass sie gewissenhaft mit Geld umgeht, planen kann und sich für realistische Bedrohungen und Gefahren der Zukunft rüstet.

(Dieser Artikel von Marionna Schlatter und mir ist in ähnlicher Form in Der Bund erschienen. Bild: www.vtg.admin.ch)